Kommentar

Last Exit Kartoffelbrei?

Petra Nielsen
Gründungsmitglied
„Wie radikal darf Klimaprotest eigentlich sein?“ Diese Frage scheint momentan halb Deutschland zu diskutieren. Straßenblockaden, eine abgesägte Weihnachtsbaumspitze und eine Stärkebeilage, die klatschend auf einem Kunstwerk im Museum landete - die Aktionen der letzten Generation sorgen für Furore.
©Letzte Generation, 23.08.2022, Museumsaktion Alte Meister in Dresden

Dabei werden bei dieser Diskussion andere wichtige Fragen ausgeklammert, die wir uns eigentlich schon seit dem Erstarken von Fridays for Future stellen sollten. Eine davon lautet: Was hat es für junge Klimaschützende, aber auch für die Gesellschaft insgesamt für Folgen, wenn die Forderungen nach dem notwendigen Klimaschutz je nach Aktionsform wegignoriert oder kriminalisiert werden?

Eine internationale Studie, in der 10 000 junge Menschen zwischen 16 und 25 Jahren aus zehn Ländern nach ihrer Einstellung zum Klimawandel und den Reaktionen der Regierung gefragt wurde, ergab: Der Klimawandel verursacht bei Jugendlichen weltweit negative Emotionen wie Stress und Wut. In Ländern wie den Philippinen, Indien, Brasilien und Portugal, die vom Klimawandel bereits stark betroffen sind, waren laut Umfrage überdurchschnittlich viele Befragte „sehr oder extrem besorgt“. Mehr als die Hälfte fühlten sich traurig, ängstlich, wütend und machtlos. Diese Klimaangst habe negative Folgen auf ihren Alltag, gaben 45% der Befragten an.1

Die junge Generation von Klimaaktivisten sollte an der Gestaltung ihrer Zukunft beteiligt statt kriminalisiert werden.

Die anfängliche Angst und Wut von vielen jungen Menschen über eine verfehlte Klimapolitik hat sich zunächst im Handeln niedergeschlagen, war Antriebsmotor für die globale Fridays for Future Bewegung. Damals, 2019, wurde seitens der Politik die großartige Chance verpasst, sich bei den jungen Menschen für all die klimapolitischen Versäumnisse der letzten Jahrzehnte zu entschuldigen und endlich, spät, aber vielleicht doch gerade noch rechtzeitig, die sozial-ökologische Wende einzuleiten.

© Fridays for Future Deutschland, 2022-03-03 Berlin 03 Lukas Stratmann

Die (in der Mehrzahl jungen) Menschen bei der letzten Generation tragen ihre Verzweiflung nach außen. Gleichzeitig dürften viele andere, ehemals klimabewegte junge Menschen resigniert haben und an ihrer Selbstwirksamkeit zweifeln, da ihre Proteste zu wenig bewegt haben. Und das, obwohl ihnen die wissenschaftlichen Fakten, ein Urteil des Bundesverfassungsgerichtes sowie das Grundgesetz bei ihren Forderungen Recht geben.

Ihr sei mit Blick darauf, wie die Klimakrise vor unseren Augen eskaliert, klar geworden, das sich niemand dafür verantwortlich fühle, sagte die Klimaaktivistin Carla Rochel in der Talkshow von Markus Lanz.2 Aus diesem Grunde habe sie ihr Studium abgebrochen und sich der letzten Generation angeschlossen. Das klingt nicht nach einem jungen Menschen mit Vertrauen in unser politisches System. Es ist jedoch Gift für eine Gesellschaft, wenn durch Untätigkeit beim Klimaschutz das Vertrauen in die Demokratie verspielt wird.

In Zeiten von multiplen Krisen brauchen wir mehr denn je junge Menschen, die tatkräftig die Zukunft mitgestalten und sich weder in Resignation noch in zivilen Ungehorsam flüchten müssen. Die bereits erwähnte Carla Rochel stellte bei Lanz die Frage, wie sie denn sonst mit ihren 20 Jahren in seiner Talkshow sitzen und über die Klimakatastrophe debattieren könne, wenn sie und ihre Gruppe nicht zu Maßnahmen wie dem Werfen von Kartoffelbrei auf einem (sich hinter einer Glasscheibe befindenden) Bild greifen würden.3 Last Exit Kartoffelbrei also, um Teilhabe zu erwirken, es erscheint mir unserer Demokratie unwürdig. Den Menschen, die am längsten mit den Folgen der heutigen politischen Entscheidungen zu leben haben, muss endlich die Möglichkeit zur echten politischen Partizipation eingeräumt werden!

Bildschirmfoto, 2022-12-31, https://www.presseportal.de/pm/119123/4377252

Auch für mich als Mutter steht und fällt das Vertrauen in unsere Demokratie damit, ob der Staat seiner Fürsorgepflicht gegenüber der Generation meiner Kinder und den folgenden Generationen nachkommt. Für Eltern ist die Erderwärmung laut der Studie „Junge Familie 2019“ mittlerweile auf Rang 2 ihrer größten Sorgen, nur eine mögliche Krankheit ihres Nachwuchses ängstigt Eltern noch mehr.4

Durch die Kriminalisierung von Klimaaktivisten kann man sich höchstens noch eine kurze Zeit trügerischen Friedens erkaufen. Vertrauen in die Demokratie kommt zurück durch eine Politik, die sich durch Mitgefühl und Verantwortungsbewusstsein statt durch profitgetriebenes fossiles „weiter so“ auszeichnet – dafür setzen wir uns bei Zukunft für Kinder ein.

Links

  1. The Lanzet: Climate anxiety in children and young people and their beliefs about government responses to climate change: a global survey
  2. ZDF: „Letzte Generation“ bei „Lanz“ : Aktivistin: „Protest durch Dreck gezogen“
  3. ebda.
  4. Pronova BKK, Studie: Junge Eltern fürchten sich vor dem Klimawandel, Krieg und Terror ängstigten nur ein Drittel der Befragten, presseportal, (17.09.2019)
Petra Nielsen
Gründungsmitglied
Petra Nielsen ist Pädagogin und war lange im Bereich der Umweltbildung für Kinder und Jugendliche tätig. Die zweifache Mutter ist seit Jahren in der Klimabewegung aktiv, engagiert sich für Klimagerechtigkeit und Chancengleichheit und hat mehrere Initiativen mitbegründet.